Thesen zur performativen Didaktik
Performative Didaktik und Kunst
These 1
Die kunstdidaktischen Verhältnisse wie alle anderen didaktischen Verhältnisse unterliegen der Schwerkraft der Gewohnheit und des Gewöhnlichen.
These 2
Performative Didaktik steht für den Versuch, eine künstlerische Didaktik zu begründen, was sie in dem Moment ist, da sie sich als Kunst erweist.
These 3
Die performative Didaktik ist Kunst, und Kunst ist performative Didaktik.
These 4 in Ergänzung zur These 3
Kunst ist per se Vermittlung, denn sie ist Ereignis, dessen Bedeutung sie selbst vermittelt.
Damit wird behauptet, daß Kunst selbst Didaktik sei. Sie vermittelt ein wie
auch immer geartetes Verständnis der ästhetischen Verfaßtheit der jeweiligen
gesellschaftlichen Bezugsgegenwart.
Die Weise, in der dieses Verständnis formuliert wird, ist dann künstlerisch,
wenn sie sich ausschließlich ästhetischer Mittel bedient.
Der Begriff Kunstdidaktik ist so gesehen eine Tautologie.
Die folgenden Thesen beschäftigen sich näher mit dem Problemfeld Kunst und Vermittlung.
These 5
Die Innenzone der Kunstvermittlung ist die Kunst selbst. Kunst ist performative Didaktik, sie vermittelt sich selbst.
Die Innenzone der Kunstvermittlung ist alles, was die Kunst aus sich heraus vermittelt und Vermittlungsstrategien, die sich als Teil der Kunst verstehen.
Die Außenzone der Kunstvermittlung ist alles, was sich mit dem Verstehen von Kunst beschäftigt – die Kunstsoziologie, die Kunstgeschichte im Speziellen und die Kunstwissenschaften im Allgemeinen, die Kunstpädagogik und die Kunstdidaktik, die Kunstpsychologie, die Kunstpolitik, die Kunstkritik, der Kunsthandel etc.
Wenn wir von der Außenzone der Kunstvermittlung sprechen, meinen wir alles, was sich selbst nicht als Kunst versteht.
In der Außenzone der Kunstvermittlung dienen die Werke der Kunst der
ästhetischen Ausschmückung des jeweiligen Weltverständnisses.
These 6
Die performative Didaktik ist eine Didaktik des künstlerischen Umgangs mit Kunst und mit den Sachverhalten der ästhetischen Umwelt, der ästhetischen Verfaßtheit unserer Gesellschaft und ihres historischen Kontextes.
D.h. die Kunst vermittelt einen künstlerischen Umgang mit Didaktik und mit den Sachverhalten der ästhetischen Umwelt, der ästhetischen Verfaßtheit unserer Gesellschaft und ihres historischen Kontextes.
These 7
Performative Didaktik gleich Kunst ist keine Wissenschaft.
Die performative Didaktik geht weit über Wissen und über das final- und kausalbegründendes Denken hinaus und bezieht in ihr ästhetisch-logisches Denkvermögen sowohl Intuition als auch Empfindsamkeit mit ein.
Wenn die Aussage eines Werkes eineindeutig ist, ist es kein Kunstwerk. Ebenso ist eine nicht eindeutige Aussage etwa in der Mathematik wissenschaftlich nicht haltbar.
Ein analoges Verhältnis zwischen Kunst und Wissenschaft ist dann zu akzeptieren, wenn das Analogon als wirkliches Verhältnis und in den Abweichungen jeglicher Vergleichbarkeit betrachtet wird.
Eine Didaktik, die vorgibt, eine wissenschaftliche Perspektive in dem Bereich Kunst zu ermöglichen, kann durchaus wissenschaftlich sein, hat aber mit Kunst nichts zu tun.
Pragmatik einer performativen Didaktik
These 8
Kunst ist immer Praxis und versteht sich ausschließlich aus dem künstlerischen Handeln heraus.
These 9
In diesem Sinn ist die performative Didaktik primär das sich Ereignen von Erziehung und Bildung als künstlerischer Prozeß.
These 10
Jegliche Hilfestellungen zu einem selbstbestimmten Leben sind immer auch künstlerisch-performative Gestaltungsprozesse. In diesem Sinn ist alles Unterrichten performativ-künstlerisch.
Wir können hier auch von einem erweiterten Didaktikbegriff sprechen. Letztlich geht es darum, die Bindung an einen Kunstbegriff zu lösen, der eng mit der normativen Ästhetik einer bürgerlichen Kunsttheorie verknüpft ist. Dafür sprechen sowohl das Scheitern dieser normativen Kunstbestimmungen in den verschiedenen Schattierungen des Faschismus des 20.Jahrhunderts als auch die Allmachtsästhetik der digitalen Medien.
These 11
Die Erziehung und Bildung in künstlerischen Prozessen achtet alle Beteiligten dieses Prozesses als einmalige, wertvolle Individuen, deren Begabungen es zu entfalten gilt.
These 12
Es besteht weder im künstlerischen Ausdrucksvermögen noch in der Gestaltungsfähigkeit eine Differenz zwischen den Lernenden; die Lernenden sind die „Lehrer“ und die „Schüler“
These 13
Das Lehrende ist allein die Kunst.
These 14
Kunst kann und wird in jeder beliebige Lebenssituation lehren.
Erst in dieser Annahme kann der erweiterte Kunstbegriff von Beuys in Anspruch genommen werden.
These 15
Das Miteinander in der Erziehungs- und Bildungsarbeit hat seinen praktischen Ort in der Werkstatt. Das ist der Ort der künstlerischen Arbeit mit einer Ausstattung, die alle Ausdrucksformen der künstlerischen Arbeit ermöglicht. Sie läßt das Arbeiten in allen Denkfeldern und Versuchsordnungen zu, auch im Bereich naturwissenschaftlicher oder in philosophischer oder philologischer Forschungen.
These 16
Werkstatt ist künstlerischer Unterricht und künstlerisches Unterrichten ist Werkstatt.
These 17
Künstlerisches Unterrichten ermöglicht eine - von Außen nicht gesteuerte - Folge künstlerischen Handelns.
Das künstlerische Handeln ist nicht ergebnisorientiert in dem Sinn, daß die Lerngruppe irgend welche von Außen vorgedachte Ziele operationalisiert.
Die Lerngruppe ist für die Entwicklung von Zielvorstellungen selbst zuständig. Jedes Mitglied der Gruppe ist für seine eigene Konzeption selbstverantwortlich zuständig.
Diese Konzeption ist der Dialogpartner sowohl des Einzelnen wie auch der Gruppe. Der Dialog als Form der Selbstschulung oder auch Selbstvermittlung ist der geistige Kern des künstlerischen Unterrichtens.
These 18
Die Einschätzung der künstlerischen Lernleistung folgt dem abduktiven Denkschluß: Ausgehend vom künstlerischen Ergebnis der Lernleistung wird über die Weise der Mitteilung der Form auf die Lernabsicht gefolgert und die Folgerichtigkeit der künstlerischen Leistung festgestellt.